PreVCo - Implementation of the German Clinical Practice Guidelines on Prevention of Violence and Coercion

IVZ-S3 - Implementierung der S3-Leitlinie zur Verhinderung von Zwang und Aggression

FORSCHUNGSPROJEKT
Hintergrund

Im Jahr 2018 veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (DGPPN) die S3-Behandlungs­leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie und aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“.
Um die Umsetzung und Einhaltung der Empfehlungen der neuen klinischen S3-Leitlinie in der klinischen Praxis zu erleichtern, wurde ein 12-Punkte-Programm mit konkreten Imple­mentierung­sempfehlungen für Stations­teams entwickelt. Diese wurden vom Vorstand der DGPPN e.V. verabschiedet und die Machbarkeit wurde anschließend in einer Pilot­studie getestet.
Die IVZ-S3 bzw. PreVCo-Studie will nun herausfinden, ob die operationali­sierte Implementierung der 12 Empfehlungen in der klinischen Praxis zu einer Reduktion von Zwangs­maßnahmen führt.

Studiendesign

Es handelt sich um eine multi­zentrische 1:1 zufalls-gematchte kontrollierte Studie mit Warte­kontrolldesign. Die zu untersuchende Hypothese lautet: „Die Anzahl von Zwangsmaßnahmen auf psychiatrischen Stationen kann im Vergleich zu Kontroll­stationen reduziert werden“.

Es nehmen insgesamt 55 psychiatrische Krankenhaus­stationen aus Deutschland an der Studie teil, die zwangseingewiesene Patientinnen und Patienten versorgen. Die teilnehmenden Stationen werden von externen Implementierungs­beratenden dabei unterstützt, eine strukturierte und auf die Bedarfe der jeweiligen Station zugeschnittene Implementierung ausgewählter Empfehlungen aus dem 12-Punkte-Programm durchzuführen. Anschließend sollen die Effekte im Hinblick auf die Reduzierung von Zwangsmaßnahmen und aggressiven Übergriffen bewertet werden.

27 Stationen beginnen im Herbst 2020 mit dem Implementierungs­prozess (=Interventionsgruppe); weitere 28 Stationen werden erst ein Jahr später im Herbst 2021 mit der Intervention beginnen (=Kontrollgruppe). Während des 12-monatigen Implementierungs­prozesses auf den Interventionsstationen, werden auf den Kontroll­stationen die Patientinnen und Patienten wie bisher behandelt. Anschließend beginnt die Implementierungsphase auf den Kontrollstationen und auf den ehemaligen Interventions­stationen werden Follow-Up Daten erhoben.

Damit Interventions- und Kontroll­gruppe möglichst vergleichbar sind, wird zwischen jeweils 2 Stationen ausgelost, die sich sowohl hinsichtlich des Vorkommens von aggressiven Übergriffen und Zwangsmaßnahmen als auch in Hinblick auf den Umsetzungsgrad der Implementierungs­empfehlungen sehr ähneln. Im Zeitraum von Juni-August 2020 wurden die Baseline­daten erhoben. Die Zuweisung der Stationen in Interventions- bzw. Kontrollgruppe erfolgte im September 2020.

Die Evaluation beinhaltet auf Organisations­ebene den Stand der Leit­linien­erfüllung zu den verschiedenen Messzeitpunkten (PreVCo-Rating-Instrument) und auf Ebene der Patientenversorgung die kumulierte Häufigkeit und Dauer von Zwangs­maßnahmen und die Häufigkeit aggressiver Über­griffe. Zahlreiche Kontrollvariablen wie Stationsgröße, Personal­besetzung etc. werden berücksichtigt.

Gemessen wird, wie sich die Anzahl der Zwangs­maßnahmen und der aggressiven Übergriffe (pro Bett und Jahr) bei den teilnehmenden Stationen verändert und in welchem Maß dies mit der Implementierung der Empfehlungen aus dem 12-Punkte-Programm zusammenhängt. Dabei werden mehrere Mess­möglichkeiten berücksichtigt:

    1) Vergleich der Daten aus den 26 Interventions- mit den 26 Kontrollstationen
    2) Prä-Post Vergleich der Daten aus den Kontrollstationen (vor/nach der Implementierungsphase)
    3) Analyse der Follow-Up-Daten der Interventionsstationen.

Ergänzend werden im Rahmen der qualitativen Begleit­forschung parallel Interviews mit Ansprech­personen aus den teil­nehmendem Stationen geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet.

Intervention

Auf Basis der S3 Leitlinie wurde ein 12-Punkte-Programm mit konkreten Implementierungs­empfehlungen zur Ver­meidung von Zwang auf Ebene der Organisation entwickelt.

Die 12 Implementierungsempfehlungen

Diese 12 Implementierungs­empfehlungen werden bereits in unterschiedlichem Ausmaß auf den psychiatrischen Stationen umgesetzt. Gemeinsam mit dem Stationsteam lässt sich anhand des PreVCo-Rating-Instruments mit Hilfe von Ankerbeispielen der Umsetzungsgrad der Leit­linien­empfehlungen ermitteln. Dabei wird es auch möglich, die wichtigsten Themen der Station in Hinblick auf eine möglichst große Leit­linien­konformität zu identifizieren. Die teilnehmenden Stationen entscheiden sich anschließend auf Basis des Ratings und passend zu den jeweiligen Stations­bedingungen für 3 der 12 Implementierungs­empfehlungen zur Reduktion von Zwang. Gecoacht von den Implementierungsberatenden wird im Stationsteam ein strukturierter Implementierungsplan entwickelt. Drei gemeinsame Workshop­tage ermöglichen die zielgenaue Entwicklung der Implementierungs­ziele und -strategien, sowie ein gemeinsames Monitoring der Zieler­reichung und die Unterstützung bei allen Prozessen.

Pilotstudie

Im Rahmen einer Machbarkeits­studie wurde geprüft, ob die aus der S3 Leitlinien abgeleiteten 12 Implementierung­sempfehlungen auf der Ebene der Station gut umsetzbar sind. Zudem sollten Erkenntnisse gewonnen werden, wie der Implementierungs­prozess optimal unterstützt werden kann. Im Rahmen der Pilotstudie unterzeichneten fünf psychiatrische Stationen mit Aufnahme­verpflichtung ihre Teilnahme­bereitschaft. Zwei Implementierungs­beratende (i.d.R. 1 Ärztin/Arzt und 1 Pflegefachperson) führten in einem Zeitraum von sechs Monaten insgesamt drei Beratungsworkshops durch. Im ersten Workshop wurde eine sorgsame Ist-Analyse der aktuellen „Leitlinientreue“ der Stations­praxis durchgeführt. Darauf aufbauend wurden gemeinsam spezifische Implementierungsziele erarbeitet und ein konkreter Implementierungs­plan erstellt. Die Folgeworkshops dienten dem Monitoring und der Evaluation des Implementierungsprozesses.

Die Pilotstudie zeigte, dass die aus der S3-Leitlinien heraus formulierten 12 Implementierungsempfehlungen eine sinnvolle und realisierbare Vorgabe für die Stationen darstellen. Weiterhin konnte bestätigt werden, dass Implementierungs­prozesse von einem strukturiertem Vorgehen und einem externen Coaching (Beratungs­prozess) profitieren.

Über das Implementieren

Implementierungen sind komplexe Prozesse. Wenn neue Vorgehensweisen und Praktiken in Organisationen eingeführt werden, dann müssen gewachsene Routinen und bewährte Handlungs­abläufe ausgesetzt oder verändert werden. Ob dies gelingt unterliegt vielfältigen Einfluss- und Störfaktoren – und dies gilt umso mehr, wenn gesamte Teams ihre Arbeits­weisen ändern sollen.
Ein strukturiertes, gut geplantes und an die individuelle Situation der Station angepasstes Vorgehen kann wesentlich zum Erfolg der Implementierung beitragen. Im PreVCo-Projekt unterstützen externe Implementierungs­beratende die Stationen in diesem Prozess.

Über das Implementieren - ein Beitrag von Dorothea Sauter

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